Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Herstellen. Von der Fingerfertigkeit unserer Hände.

Predigt am 9. August 2009

 

Der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände bei uns. Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern! (Psalm 90,17)

 

Liebe Gemeinde,

das Werk unserer Hände wollest du fördern, so betet der Verfasser des Psalms. Das Werk unserer Hände... Da kommt eine Menge zusammen... Überlegen Sie doch mal, was Sie heute früh schon alles mit Ihren Händen gemacht haben, bis Sie jetzt hier im Gottesdienst sitzen. Bettdecke wegschlagen, anziehen, Zähne putzen, Haare richten, Kaffee kochen, Tisch decken, frühstücken, Schuhe anziehen, Haustür abschließen, Hände schütteln hier im Kirchraum, Gesangbuch blättern.... Nur mal so eine kleine mögliche Auswahl. Ist das schon das "Werk unserer Hände"? Vieles, was wir so machen, erleben wir garnicht als "Werk". Mehr oder weniger unbewußte Tätigkeiten, wie anziehen oder Kaffee kochen. Und doch sind es alle Werke. Denn ich kann sie so oder so machen. Die Haare so föhnen, dass es schön aussieht. Den Kaffeetisch liebevoll decken. In den Händedruck etwas hineinlegen. Dann wird aus einer eher beiläufigen Tätigkeit eine bewußte Handlung. Aber auch das, was wir nebenbei machen und für selbstverständlich halten, sind alles Werke unserer Hände. Mit denen wir uns und andere erfreuen, versorgen, unterstützen können.

Wenn wir uns das klarmachen, dann öffnet sich hier ein unglaublich großes Feld. Denn was machen wir nicht alle mit unseren Händen. Oder genauer: Was können wir nicht alles mit unseren Händen machen. Wir staunen immer wieder mal über herausragende Leistungen von Malerinnen und Malern, Musikerinnen und Musikern, aber auch über die Strick- und Häkelkunst einzelner Frauen, über die Kochkunst von Männern und Frauen. Aber das gibt es auch unter uns. Lange Jahre habe ich auf KU-Freizeiten den Jugendlichen einen Haufen von Materialien auf den Tisch gelegt und gesagt, ihr habt jetzt zwei Stunden Zeit, irgendetwas draus zu machen. Wir waren jedes Jahr erstaunt, was da zusammen kam.

Kein Wunder also, dass die Fingerfertigkeit unserer Hände auch als Bild auf Gott übertragen wurde, als Lob der Schöpfung. Wenn ich sehe die Himmel, deine Finger Werk, heißt es in Psalm 8. Das Staunen über die Vielfalt und Schönheit der Natur wird verglichen mit der Fingerfertigkeit von uns Menschen. Das Lob Gottes ist zugleich auch ein Staunen über die Fähigkeiten, die er uns gegeben hat.

Eine Grenze aber wird dabei genauso deutlich gezogen: Schöpfer ist Gott allein. Alles, was wir Menschen machen, herstellen, erfinden, werken, schaffen, ist von Gottes Schöpfermacht geschieden. Wenn es gleich am Anfang der Bibel heißt: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, dann steht hier für "schaffen" ein kleines Wörtchen - bara -, welches in der Bibel nur für Gottes Schaffen verwendet wird.

Diese Grenze ist wichtig, wenn wir an die dunkle Seite unserer menschlichen Fingerfertigkeit denken. Denn auch die Herstellung und Verwendung von Waffen geschieht mit diesen unseren Händen, Folterer haben auch eine Kunst ihrer Hände entwickelt. Zwiespältig ist unsere Fähigkeit aller möglichen und unmöglichen Dinge, Gottes Fähigkeit ist aber immer gut, daher: bara!

Im Lauf der Jahrhunderte haben wir Menschen unsere Fähigkeit unermeßlich ausgeweitet. Immer mehr Erfindungen, immer mehr Maschinen, immer mehr Technik. Der Antrieb war und ist sicher vor allem, uns Menschen die schwere Arbeit zu erleichtern. Und weiß Gott, da gab es tolle Erfindungen! Doch vor allem in den letzten hundert Jahren tauchten auch mehr und mehr kritische Fragen auf. Der Schock der Waffengewalt im Ersten Weltkrieg. Die Atombombe über Hiroshima und Nagasaki. Immer gigantischere Bauwerke wie Staudämme, die Landschaften komplett veränderten. Tschernobyl. Medizinischer Fortschritt, der unglaubliches ermöglicht, aber auch die Krankenversicherungskosten enorm in die Höhe treibt - und manchmal nicht Leben verlängert, oder vielleicht doch, aber nicht unbedingt lebenswertes Leben. Immer kritischere Stimmen tauchen auf. Die Zwiespältigkeit unserer Erfindungskunst wird offenbarer. Zuletzt an der aktuellen Entwicklungen mit Computern und Internet ablesbar. Ganze Welten können wir mit diesen Maschinen herstellen, aber auch T-Shirts, Grußkarten, und bald noch mehr. Gleichzeitig verlieren immer mehr Menschen den Blick für die Realität, die virtuelle Welt im PC und die sogenannte "echte" Welt verschwimmen....

In diesem Zusammenhang wundert´s dann nicht mehr, wenn für manche Großstadtkinder die Kuh eben Lila ist. Oder wenn die Kochkunst junger Menschen weitgehend verkümmert angesichts von Fast Food und Mikrowelle. Und das ist tragisch, weil damit ein ganz wichtiger Aspekt unserer Fingerfertigkeit verloren geht: das sinnliche Erleben. Diesen Gedanken verdanke ich meiner Frau. Mir hat das sehr eingeleuchtet, als sie mal meinte, dass durch die Spülmaschine das sinnliche Erleben beim Spülen verloren geht. Und da ist was dran. Das gilt auch für die Gartenarbeit, fürs Kochen und für tausend andere Sachen. Wir laufen mehr und mehr Gefahr, durch die immer fortschreitende Technik, auch und vor allem im Haushalt, aber auch in der Wirtschaft, das sinnliche Element der Arbeit mit unseren Händen zu verlieren.

Damit will ich nicht wieder hinter die Technik zurück, geht ja auch garnicht. Und ich hasse spülen. Aber wir alle sollten das im Blick behalten - weil wir durch unserer Finger Werk ja auch etwas von uns preisgeben. Wie viele Menschen schwärmen ein Leben lang von der Kochkunst ihrer Mutter. Unverwechselbar und einmalig. Oder denken Sie nur mal an die liebevolle Gestaltung des Altarraums Sonntag für Sonntag durch Gislea Neßbach und Hildegard Rosenke. In unserer Arbeit können wir etwas von uns ausdrücken, von unserem Wesen, von unseren Begabungen, unserer Kreativität (da steht das Wort creatio drin, welches die Lateiner für "Schöpfung" verwenden). In unsere Fingerfertigkeit legen wir etwas von uns hinein, bewußt oder unbewußt, auch in die angeblich so selbstverständlichen Dinge.

Hier schließt sich für heute ein weiterer und letzter Gedanke an. In vielen Psalmen wird Gott für das Werk seiner Hände gelobt, und das gilt auch für unsere Arbeit. Anerkennung tut uns gut, Lob für unsere Arbeit. Das ist ganz wichtig, geschieht aber ganz häufig nicht. In zweierlei Richtung: einmal das die geleistete Arbeit nicht gesehen wird, übersehen wird. Vielleicht weil sie als zu klein oder selbstverständlich angesehen wird. Und hier sind schon beim zweiten: viele wollen gar keine Anerkennung für geleistete Arbeit, weil sie diese für selbstverständlich halten. Beides, liebe Gemeinde, beobachte ich vor allem und immer wieder bei Frauen. Selbstverständlich ist dich Hausarbeit, dafür ist Anerkennung und Lob überflüssig. Das höre ich immer wieder. Wirklich? Sicher kann das auch aufgesetzt wirken oder ermüden, aber dennoch: es tut uns gut, gelobt zu werden, auch und gerade für die vielfältige Arbeit unser Hände und Finger, auch für die sogenannten selbstverständlichen Arbeiten.

Liebe Gemeinde,

mit unseren Händen sind uns von Gott faszinierende Werkzeuge gegeben. Danken wir ihm Tag für Tag dafür, und stellen mit unserer Fingerfertigkeit immer wieder schöne, hilfreiche, nützliche Sachen her, die unser eigenes Herz und das anderer erfreuen. Und da kann der eine dies und die andere das. Gemeinsam kommt eine Vielfältigkeit zusammen, die wir alleine nicht schaffen könntne. Damit sind aber dann schon beim Thema des nächsten Sonntages: da geht es um das gemeinsame Tun und Arbeiten.

Amen.